Geh mal, tu mal, mach mal!

Schon im Rathausflur hatte der Mann mich angesprochen und mir seltsame Fragen gestellt. Nun folgte er mir unaufgefordert ins Büro, ließ sich auf meinen organgefarbenen Besucherstuhl plumpsen und machte es sich gemütlich. Er war mir völlig unbekannt, schon älter, humpelte und ging am Stock. Sein Mundwerk aber war voll funktionsfähig. „Habense vielleicht ’nen Kaffee für mich?“ Ich fixierte ihn genauer und setzte mein falsches Lächeln auf: „Nee, Kaffee is grad alle.“

„Egal, dann möchte ich jetzt bei Ihnen eine Patientenverfügung machen!“ „Eine Patientenverfügung?“ erwiderte ich ungläubig. „Wissen Sie, mein Job ist die interkulturelle Leseförderung. Sie könnten mir was vorlesen und wenn das gut ist, bilde ich Sie zum Vorlesepaten aus. Na, wie wär’s?“ „Neee!“ entgegnete der flotte Senior, „ich will ’ne Patientenverfügung von Ihnen!“ „Dafür schlage ich Ihnen vor, Ihren Arzt oder einen Notar zu konsultieren. Oder sie fragen mal an der Auskunft nach, ob jemand vom Gesundheitsamt helfen kann, ja!?“  „OK,“ kam als Antwort, „aber dafür rufen Sie jetzt mal  den Herrn Müller an, ich brauche einen Termin bei dem!“

So langsam merkte ich, wie meine Geduld zur Tür herausmarschierte. „Welchen Herrn Müller meinen Sie und wer sind eigentlich Sie?“ „Isch? Isch bin der Teddy Schmitz, ein alter Bekannter und  anrufen sollen Sie den Hansi Müller!“ Ich schaute im Telefonverzeichnis nach und fand den Hansi Müller dort gleich zwei Mal. In der Hoffnung, den Mann damit loszuwerdem, rief ich den ersten an. Der Kollege verneinte, diesen Teddy Schmitz überhaupt zu kennen. Auf meine Nachfrage, in welcher Sache denn der Termin notwendig sei, grinste der Teddy Schmitz  fröhlich und sagte:

„Och, ich wollte mal wieder ein Bierchen mit dem Hansi trinken!“

 

Koffer to go

Es ist früh am Montag. Noch stehen die Telefone im Rathaus still. Um 6:30 Uhr steigt der Hausmeister in den ersten Stock des Neubaus und sieht einen Koffer auf der letzten Treppenstufe stehen. Er stellt ihn beiseite, damit niemand darüber fällt.

Im Laufe der nächsten zwei Stunden trudeln die Bediensteten ein. Sie benutzen insgesamt vier Eingänge. Gegen 7 Uhr gibt es einen weiteren Kontakt mit dem Koffer. Kollegin Ala bleibt davor stehen und denkt sofort: „Eine Bombe!“ Kollegin Beta – eilig hinzugerufen – denkt dasselbe, unterstützt von Kollegin Cice, die die Runde vergrößert. Kollege XY, als männliche Verstärkung mit Mut und Abenteuerlust ausgestattet, tritt erst mal vor das Ding und stellt fest: „Nein, das ist keinen Bombe! Ich guck‘ da jetzt rein.“

Der Koffer wir aufgeklappt und siehe da: Es ist eine Quetschkommode! „’Wem könnte denn die gehören? Hatte Kollegin Deli  nicht am Wochenende so eine Kinderveranstaltung? Wir stellen das Akkordeon bei ihr rein!“ Alle sind sich einig und so erhält die besagte Kollegin in Abwesenheit ein Akkordeon. Die Empfangsdame am Eingang wird noch schnell informiert und alles beruhigt sich.

Einen Tag später steht der Besuch der Lesezauber-Kinder im Seniorenheim an: Vorlesen, Spielen und gemeinsames Singen mögen die alten Menschen besonders gern. Ich greife unter den Tisch, um das Akkordeon hochzuholen – es ist nicht da! „Wie kann das sein?“ rufe ich laut. „Ich hatte es doch vor wenigen Tagen abends  die Treppe raufgeschleppt. Es muss da sein! “

Beim Fundbüro geht keiner ans Telefon und ich denke nach. Wenige Minuten später überreicht mir die Kollegin am Empfang mit einem breiten Lächeln einen Zettel: „Ihr Akkordeon ist bei Kollegin Deli im ersten Stock!“

Und so finde ich mein kleines Akkordeon wieder. Kommentar auf dem Gang: „In einem ordentlichen Haushalt geht nichts verloren –  sagte die Hausfrau, als sie den Socken aus dem Sauerkraut zog!“

Und was singen wir jetzt?

Was Kleines

Der goldene Oktober ließ sich in diesem Jahr nicht lumpen: Die Sonne lachte der drohenden Herbstdüsternis entgegen und alle freuten sich auf das nahe Wochenende. Die Rathausflure leerten sich daher an diesem Freitag bereits ab 12 Uhr, so dass auf den Gängen nur noch wenige Kolleginnen und Kollegen anzutreffen waren. Meine Tür war lose angelehnt, als es gegen 14 Uhr klopfte.

Ich sagte „herein“ und kurz darauf wurde eine Nase sichtbar, verschwand wieder und Gogols Erzählung blitzte kurz in mir auf. Doch dann öffnete sich meine Tür und der Nasenbesitzer wurde sichtbar. Konzentriert versuchte er, mein Türschild zu entziffern, schaute auf, blickte mich an, schaute wieder zurück auf das Schildchen und fragte dann formvollendet:
„Wat machen Sie?“
Bereitwillig gab ich Auskunft. „Interkulturelle Leseförderung, so steht es auch auf dem Türschild.“
Der Mann überlegte nicht lange und trat ein. „Wunderbar! Dann kann ich ja bei Ihnen die Baugenehmigung bekommen!“
Ich war erstaunt, gestattete mir jedoch eine sachgerechte Nachfrage. So ernst wie möglich entgegnete ich: „Was genau möchten Sie denn bauen?“
„Och, nur wat Kleines“, antwortete er so bereitwillig wie ungenau.
„Aha, alles klar!“, antwortete ich und verkniff mir das Lachen. „Wissen Sie, im Rahmen der interkulturellen Leweförderung mache ich hier nur die großen Dinger, für die kleinen kommen Sie am besten am Montag wieder. Ab 8 Uhr sind die Kolleginnen und Kollegen vom Bauamt, oben in der dritten Etage, gerne für Sie da.

Gallien – Rom – Solig

In meiner Kindheit waren Comics verpönt. Die Bewahrpädagogen verlangten von uns, sie gegen sogenannte „gute Bücher“ wegzutauschen. Mir war das ziemlich egal, las ich doch alles, was mir in die Quere kam. Da merkt man gar nicht, dass was fehlt.
Eine Comic-Serie hatte mich dennoch in den Bann gezogen: „Asterix und Obelix“ von Uderzo und Goscinny. Die lasen wir damals in der Schule heimlich unter der Bank und riskierten den Eintrag ins Klassenbuch gerne. Die Alben wurden zum Teil verfilmt und der dritte Zeichentrickfilm „Asterix erobert Rom“ spielt in einem Rathaus. Die beiden Helden müssen als Aufgabe eine „Formalität verwaltungstechnischer Art“ erledigen: Sie brauchen den Passierschein 38, angeblich an Schalter 1 zu bekommen. Der Pförtner schickt die beiden ins Erdgeschoss, linker Gang, letzte Tür rechts. Dort gibt es aber keine Tür, daher nehmen Asterix und Obelix die linke Tür. Dort wackelt ein Beamter auf einem Schaukelstuhl hin und her und schickt die beiden Ruhestörer in den 6. Stock. Von dort geht es wieder ins Erdgeschoss, wo jetzt an Schalter 1 erstmal das rosa Formulat verlangt wird, erhältlich an Schalter 2. Diese Geschichte geht hier weiter: …http://www.comedix.de/lexikon/db/haus_das_verrueckte_macht.php
Wir springen ins 21. Jahrhundert und befinden uns im Neubau des Solinger Rathauses. Eine junge Frau läuft über den Gang des Stadtdienst Soziales, besser bekannt als Sozialamt. Weiterlesen

Bonjour Madame!

Es war ein grauer, nasskalter Morgen. Die Kundschaft im Rathaus wartete wie jeden Tag darauf, Unterhaltsvorschuss, BAFÖG oder andere soziale Hilfen zu beantragen. Das düstere, unfreundliche Wetter spiegelte sich in ihren Gesichtern wider: Man guckte mürrisch drein, keine Unterhaltung, geschweige denn ein Lachen erhellte die Stimmung auf dem Gang. Ich war auf dem Weg zu den Kolleginnen im Erdgeschoss und ließ mich nicht beirren. Mit „Guten Morgen! “ oder auch einem einfachen „Hallo!“ begrüßte ich alle, die mir auf dem Gang begegneten. Die Antworten kamen spärlich, allein eine weißhaarige, ältere Dame fiel mir auf, denn sie grüßte mit „Bonjour Madame!“ zurück. Auf meinem Rückweg war sie etwas vorgerückt und antwortete wieder in bestem Französisch: „Bonjour Madame!“ Ihre Mimik veränderte sich allerdings nicht, sie blickte kaum auf, umklammerte ihren Stock. Kurze Zeit später verließ ich mein Büro erneut, um ein paar Ausdrucke aus dem Kopierer auf dem Gang zu holen. Fast gleichzeitig öffnete sich die Tür des benachbarten Besprechungszimmers und eine Gruppe uniformierter, junger Feuerwehrmänner trat heraus. Die französische Madame blickte auf, lächelte, streckte sich und stand auf. Fast behende bewegte sie sich auf die Feuerwehrmänner zu.

Weiterlesen