Weil er die Bibliothekarin liebte

Ich stehe vor dem Spiegel im Sportstudio, auf den Schultern rechts und links je ein 2½-kg-Gewicht. „Das reicht“, denke ich mir, „hab’ ja schließlich heute genug Bücher geschleppt.“ Neben mir ein junger Mann, groß, dunkler Teint, der mich freundlich anlächelt. „War der nicht letzte Woche auch schon da?“, frage ich mich. „Genauso nett lächelnd?“

Ich bin mir nicht sicher, und nach Bauch, Beine, Po, Rücken, Bizeps, Trizeps usw. endet die Stunde mit einem kleinen Stretching. Beim Wegräumen der Gewichte, des Steppers und der Matte hält der junge Mann inne, dreht sich zu mir um und fragt: „Erinnerst Du Dich an mich?“ Ich gucke völlig blöde und gestehe: „Nein, kennen wir uns denn?“

„Ich war doch jeden Tag in der Kinderbücherei und habe gelesen. Und Du hast mit mir gespielt.“

„Tatsächlich? Wann war das denn?“

„Och, so vor 25 Jahren, ich war total in Dich verliebt. Ich heiße Serhat, weißt Du das nicht mehr?“

Ich weiß es nicht mehr und staune über diesen jungen Mann, der mir erzählt, dass er damals als Hauptschüler seine Qualifikation für das Gymnasium geschafft hat, dass er studiert hat und Ingenieur geworden ist und heute selbst junge Menschen ausbildet. Er wäre diesen Weg sicher nicht gegangen, wenn er damals nicht jeden Tag in die Bücherei gekommen wäre, um mich zu sehen. Und nun ist er selbst Vater und hat einen Jungen, der Bücher liest!

Jetzt freue ich mich auf die nächste Body-Bump-Stunde: Hoffentlich ist Serhat wieder da!

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