Es war ein grauer, nasskalter Morgen. Die Kundschaft im Rathaus wartete wie jeden Tag darauf, Unterhaltsvorschuss, BAFÖG oder andere soziale Hilfen zu beantragen. Das düstere, unfreundliche Wetter spiegelte sich in ihren Gesichtern wider: Man guckte mürrisch drein, keine Unterhaltung, geschweige denn ein Lachen erhellte die Stimmung auf dem Gang. Ich war auf dem Weg zu den Kolleginnen im Erdgeschoss und ließ mich nicht beirren. Mit „Guten Morgen! “ oder auch einem einfachen „Hallo!“ begrüßte ich alle, die mir auf dem Gang begegneten. Die Antworten kamen spärlich, allein eine weißhaarige, ältere Dame fiel mir auf, denn sie grüßte mit „Bonjour Madame!“ zurück. Auf meinem Rückweg war sie etwas vorgerückt und antwortete wieder in bestem Französisch: „Bonjour Madame!“ Ihre Mimik veränderte sich allerdings nicht, sie blickte kaum auf, umklammerte ihren Stock. Kurze Zeit später verließ ich mein Büro erneut, um ein paar Ausdrucke aus dem Kopierer auf dem Gang zu holen. Fast gleichzeitig öffnete sich die Tür des benachbarten Besprechungszimmers und eine Gruppe uniformierter, junger Feuerwehrmänner trat heraus. Die französische Madame blickte auf, lächelte, streckte sich und stand auf. Fast behende bewegte sie sich auf die Feuerwehrmänner zu.
Den erstbesten packte sie am Ärmel seiner hübschen Uniform und hielt ihn fest. „Oh, vous êtes très beau, très joli monsieur! Je suis enchantée, de faire votre connaissance! Ach, was sind das hübsche Männer! Ja wirklich!“ Der Feuerwehrmann – ungefähr halb so alt wie die französische Madame – fühlte sich geschmeichelt, strahlte und ließ es zu, dass die Madame sämtliche Teile seiner Uniformjacke anfasste und an ihnen herumzupfte. Sie drehte die Knöpfe, strich den Kragen glatt, zupfte hier und fummelte dort, begleitet von Lobeshymnen auf die Schönheit der Feuerwehrmänner im allgemeinen und besonderen Fall. Das Schauspiel mit dem etwas hilflosen Feuerwehrmann dauerte zwei kurze Minuten, dann löste sich die Versammlung auf. Madame wandte sich um, sackte etwas in sich zusammen, griff nach ihrem Stock und humpelte mit sich selbst redend davon. „Pah! So viele hübsche Männer und so jung! Wahrscheinlich alle vergeben und fest verheiratet. Was für eine Verschwendung! Pah!“
Hallo Claudia, nun bist also auch Du der „Französin“ begegnet.Sie ist einfach großartig, nicht wahr? Ein Original. Und Du hast es mal wieder schön und plastisch beschrieben: Ein Sonnenstrahl an einem grauen Morgen, da wo man es kaum vermuten würde. Danken wir also alle dafür, dass es Madame gibt.
Je vous remercie beaucoup!
Jürgen von Ehlen