Ostern ist …

Kurz nach Weiberfastnacht ging die Diskussion in der Vorlesegruppe los. „Was soll denn das mit dem Verkleiden und bunt Anmalen?“, fragten die Kinder und Jugendlichen, die alle einen Migrationshintergrund haben und aus Sri Lanka, Albanien, Russland oder der Türkei stammen. „Die Leute benehmen sich ja so komisch, singen laute Lieder und machen auf lustig.“ „Ok, dann nehmen wir eine kleine Auszeit und erklären das mal gründlich“, beschlossen wir Großen und ließen das Vorlesecoaching ausfallen. Wir diskutierten den Karneval rauf und runter und kamen im Anschluss zur Fastenzeit.

„In der Fastenzeit verzichten die Christen auf etwas, dass sie gerne mögen. Das ist anders als im Ramadan, denn die Christen essen ganz normal, aber zum Beispiel Schokolade oder süße Plätzchen essen sie ganz bewusst nicht. Was das ist, entscheidet jeder für sich selbst. Auch Gummibärchen oder Lakritz kann man wählen, um Verzicht zu üben.“

Nun war Ostern nicht mehr weit, so dass wir das Osterfest gleich auch noch erklärten. „Jesus ist für die Menschen gestorben, lag an Karfreitag und Karsamstag im Grab und ist dann auferstanden. Damit hat er die Christen erlöst. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Religion der Christen und Juden gleich“, erkläre ich, als die Tür aufgeht und Enes, unser Ältester, reinkommt. Er wird bald 17 und lauscht staunend der Diskussion darüber, was Auferstehung ist und wie der Jesus denn tatsächlich in den Himmel gekommen ist.
Ich unterbreche. „Wer kann jetzt noch mal zusammenfassen, was genau Ostern ist?“, frage ich in die Runde. Drei Finger schnellen hoch. Methaki erhält das Wort und erklärt:

„Ostern? Das ist ganz einfach! An Ostern ist Jesus hochgegangen!“

Plötzlich flog ein Enkelkind vorbei

Es ist laut im Leseraum. 17 Kinder und Jugendliche aus aller Herren Länder sind an diesem Freitagnachmittag gekommen, um das Vorlesen von Weihnachtsgeschichten zu üben. Eine Woche später steht nämlich der Besuch im Altenheim an: Dort sollen diese vorgetragen werden.

„Es ist 15 Uhr! Alle packen jetzt die Handys weg, wir fangen an!“ rufe ich laut in die Runde. Unter allgemeinem Gemaule wird das widerwillig erledigt und das Vorlesetraining beginnt in mehreren Übungsgruppen. Unser Ältester – er ist 16 Jahre alt – hat die Geschichte vom Schutzengel geübt und beginnt, sie mir laut vorzulesen. „Ein alter Engel saß auf einer Wolke und dachte nach. Da flog plötzlich ein Enkelkind vorbei.“ „Was?“, rufe ich. „Ein Enkelkind? Das ist doch gefährlich! Steht das wirklich im Text?“ „Ehm ja, da steht Enkelkind! Ach nee, Engelkind.“ merkt er dann.

In der zweiten Gruppe wird gerade ein Weihnachtswitz vom kleinen ‚Fritschen‘ geübt, das vom ‚Fahrer‘ beim Klauen erwischt wird. Wir Großen erklären, was denn ein Pfarrer ist und nähern uns dabei langsam dem Weihnachtsfest, den Krippen und dem Jesuskind.

„Wenn man die ‚Krippe‘ hat, ist man doch krank, oder? Wieso liegen denn das Christkind und der Jesus zusammen mit einer ‚Krippe‘ krank in einem Stall?“ Alle fragen durcheinander und so erklären die Erwachsenen erstmal die Weihnachtsgeschichte von ganz vorne.

Der nächste Engel ‚schmulzte‘, eine neue Kurzform von ‚schmunzelte‘. Dann kommt jemand aus finsterem ‚Tant‘, denn ‚Tann‘ kannte die junge Vortragskünstlerin nicht. Ob die Engel weiß oder weise waren, war nicht herauszubekommen. Aus ‚Schelmenpack‘ wurde ‚Schelmenpeck‘ und der Autor heißt Hoffmann von Felixleben.

Wohe Freihnachten! Lasst die Enkelkinder fliegen!

Vom Vorlesen der Löcher

Es regnete in Strömen. Die Kinder und Jugendlichen der Gruppe „Lesezauber im Seniorenheim“ betraten das Altersheim. Alle waren gut vorbereitet, hatten geübt und ihre Bücher dabei. Die Seniorinnen und Senioren standen schon parat und lächelten voller Vorfreude. Die großen Mädchen gingen in die Wohngruppe der Demenzkranken. Ihr  stetiges Kichern war auf einmal verschwunden, sie lasen sehr gut und auch das Lied von der Vogelhochzeit klappte. Die alten Leute strahlten richtig beim Singen.

Die beiden russischen Mädchen begrüßten ihren Landsmann artig und gaben ihm die Hand. Er saß – wie immer – im Rollstuhl, früher war er LKW-Fahrer. Literatur war noch nie so sein Ding, aber das Vorlesen der Nachrichten aus einer russischen Internet-Zeitung gefällt ihm. Dabei war auch eine hübsche, russische  Praktikantin als Betreuerin. Die gefiel unserem LKW-Fahrer auch.

Die kleinsten Mädchen der Gruppe kommen aus Sri Lanka und Aserbaidschan. Sie waren mit dem Märchen vom ‚Tapferen Schneiderlein‘ gut ausgestattet. Ihre alte Dame war früher Schneiderin und erzählt nach dem Vorlesen immer. Wenn sie von ihrem verstorbenen Mann erzählt, sind ihre Geschichten traurig: Dann weinen alle. Deshalb geht immer ein Erwachsener mit.

Unser ‚Großer‘ – 14 Jahre alt, 1,80 Meter groß und kräftig – musste dieses Mal allein vorlesen. Sein Vorlesepartner war heute verhindert und wir erwachsenen Begleiterinnen und Begleiter trauten es ihm gerne zu. „Wir treffen uns in einer Stunde wieder hier unten in der Caféteria. Das ist um halb fünf, ok?“ Alle riefen „ok“ und liefen los. Eine Stunde später waren alle wieder da, nur unser ‚Großer‘ fehlte. Um kurz vor fünf kam er angehechtet.

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Du sollst beim Vorlesen nicht nudeln!

Seit einem Jahr üben wir. Die Gruppe heißt „Lesezauber im Seniorenheim“ und besteht aus 15 Mädchen und Jungen im Alter von 8 bis 15 Jahren. Alle haben einen Migrationshintergrund – die türkischen Kids sind zum Teil schon in der dritten Generation in Deutschland und antworten auf die Frage, wo sie geboren wurden, erstaunt und etwas angenervt mit „Klinikum!“. Die tamilischen, aserbaidschanischen und russischen Kinder sind fast alle erst vor kurzem zugewandert. Alle sind sehr motiviert und wollen den Menschen im Altersheim Freude bringen und Geschichten vorlesen. Die Regeln für das gute Vorlesen haben wir jetzt 10 Monate lang besprochen und trainiert. Wir wiederholen:

  • Man kann nicht aus einem Buch vorlesen, wenn man das Buch vergessen hat!
  • Man muss die Gefühle mitlesen!
  • Man soll die Zuhörer beim Vorlesen immer schön angucken!
  • Die Zuhörer wiederum gucken den Vorleser oder die Vorleserin an! Sie schlürfen während des Vorlesens nicht aus der Teetasse.
  • Lachanfälle beim Vorlesen sind doof, vor allem wenn die Geschichte gerade nicht lustig ist.
  • Man darf beim Vorlesen nicht nudeln! „Nudeln?“ schreit die Vorlesebande, „oh, lecker Nudeln, können wir uns Nudeln kochen? Oh bitte…!“ Weiterlesen

Safran backt Kuchen

Immer freitags findet das Vorlesetraining für 10 Kinder und Jugendliche statt. Sie möchten alten Menschen in Seniorenheimen Geschichten vorlesen und damit ein Stündchen Freude schenken. Das Training ist anstrengend, alle Kids haben einen Migrationshintergrund und finden das Lesen sehr anstrengend. Gestartet wird immer mit einer Tasse Tee, die nach allen Regeln der Benimmkunst getrunken werden muss, denn schließlich möchten wir mit den Senioren auch mal in die Caféteria gehen und uns dort nicht blamieren.

In der letzten Stunde war das alte Kinderlied „Backe, backe Kuchen“ dran.

Lange haben die Kinder über die vorletzte Zeile nachgedacht. ‚Safran macht den Kuchen gehl.‘ Eine rätselhafte Zeile, was mag sie bedeuten? Nach einigen Vorschlägen, die wieder verworfen wurden, einigten sich die Kids auf folgende Fassung: „Der Typ heißt Safran und er macht Gel in den Kuchen.“

Alle waren sich einig, dass sie diesen Kuchen auf keinen Fall essen würden.

Backe, backe Kuchen,
Der Bäcker hat gerufen.
Wer will guten Kuchen backen,
der muss haben sieben Sachen,
Eier und Schmalz,
Zucker und Salz,
Milch und Mehl,
Safran macht den Kuchen gehl!
Schieb, schieb in’n Ofen ’nein.